Warum ist Bemusterung (PPF/VDA; PPAP/IATF) so teuer?
Die Kosten für die Bemusterung verteilen sich auf viele Beteiligte. Meist werden die Kosten nicht im Detail erhoben.
Die Bemusterung – in Deutschland meist als PPF (Produktionsprozess- und Produktfreigabe nach VDA) bezeichnet, international auch bekannt als PPAP (Production Part Approval Process nach IATF/AIAG) – ist ein zentrales Qualitätssicherungsinstrument in der Automobilindustrie. Ohne erfolgreich durchlaufene Bemusterung gelangt kein Bauteil in die Serienfertigung. Doch viele OEMs und Zulieferer klagen: Die Prozesse sind aufwendig, teuer und zeitkritisch.
Warum ist das so?
1. Komplexität der Supply Chain
Ein modernes Fahrzeug besteht aus bis zu 30.000 Einzelteilen, die aus globalen Lieferketten stammen. Jedes Teil muss bemustert werden – inklusive aller Material- und Prozessnachweise. Schon allein die Abstimmung zwischen OEM und Tier-1 ist komplex, aber mit jedem weiteren Tier-Level steigt der Aufwand exponentiell.
2. Hoher manueller Koordinationsaufwand
Die Studie von Prof. Dr. Tuczek zeigt:
Abstimmungen und Planungsrunden zwischen OEM und Zulieferern schlagen mit hohem Aufwand zu Buche.
Jeder Tier-1 muss denselben Aufwand erneut mit seinen Unterlieferanten leisten.
Dazu kommen Prüfplanerstellung, Laborbeauftragung, Tracking und Kommunikation – alles weitgehend manuell.
3. Laborkosten und Prüfungen
Ein wesentlicher Teil der Bemusterung ist die werkstoffliche Prüfung. Dabei werden Bauteile in akkreditierten Laboren getestet (z. B. mechanische, chemische oder sicherheitsrelevante Prüfungen).
Laborkapazitäten sind knapp und teuer.
Jeder OEM fordert oft spezifische Prüfungen oder eigene Formate (z. B. OEM-spezifische Excel-Vorlagen).
Abweichungen führen zu Nachbemusterungen, die nicht nur Zeit, sondern auch zusätzliche Kosten verursachen.
4. Zeitkritischer Faktor Serienanlauf
Die Bemusterung ist unmittelbar mit dem Start of Production (SOP) verknüpft. Verzögerungen können die gesamte Anlaufplanung gefährden. Deshalb wird oft mit großem Ressourceneinsatz gearbeitet, um Deadlines einzuhalten. Das treibt die Kosten zusätzlich in die Höhe.
5. Fragmentierte IT-Landschaft
Heute arbeiten OEMs, Tier-1 und Labore meist mit unterschiedlichen Systemen:
PLM-Systeme (z. B. Siemens Teamcenter) für die Produktentwicklung,
QMS-Systeme für Qualitätsprozesse,
LIMS-Systeme für Laborergebnisse.
Dazwischen gibt es zahlreiche Medienbrüche. Daten müssen mehrfach erfasst und in verschiedene Formate übertragen werden – eine enorme Kosten- und Fehlerquelle.
6. Schätzung: 5.000 € - 9.000 € pro Bauteil
Die Studie “Potenziale der Digitalen Bemusterung” (Autor Prof. Dr. Tuczek) beziffert die Gesamtkosten einer Bemusterung auf rund 5.000 bis 9.000 € pro Vorgang – und das ohne die Aufwände der Tier-2 bis Tier-n Zulieferer oder der Labore vollständig einzubeziehen. Realistisch betrachtet liegen die tatsächlichen Kosten also noch deutlich höher.
7. Digitalisierung als Ausweg
Die gute Nachricht: Digitale Plattformen wie material.one zeigen, dass die Aufwände deutlich reduziert werden können.
Automatisierte Prüfplanerstellung,
direkte Schnittstellen zu Laboren,
digitale Archivierung und Rückführung in QMS-Systeme,
zentrale Datenhaltung von Normen und Anforderungen.
Das Einsparpotenzial liegt laut Studie bei bis zu 50 % der Prozesskosten. Damit lassen sich nicht nur mehrere Tausend Euro pro Bauteil sparen, sondern auch die Durchlaufzeiten erheblich verkürzen – ein entscheidender Wettbewerbsvorteil in der Automobilindustrie.
Fazit
Bemusterung ist teuer, weil sie in einem hochkomplexen, global verteilten und stark regulierten Umfeld stattfindet. Hoher manueller Aufwand, Laborkosten, Nachbemusterungen und IT-Brüche summieren sich schnell zu fünfstelligen Beträgen pro Bauteil.
Die Zukunft liegt in der digitalisierten Bemusterung, die Prozesse automatisiert, Daten integriert und Transparenz über die gesamte Supply Chain schafft. Hersteller, Zulieferer und Labore können so nicht nur Kosten sparen, sondern auch schneller und sicherer zur Serienfreigabe gelangen.
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